Fahr(rad)unterricht auf vietnamesisch

In den westlichen Breitengraden lernt der Mensch das Radfahren für gewöhnlich in einer ruhigen Seitengasse. Auf dem Hof der Großeltern. Oder auf dem Dorfspielplatz. Allen Orten gemein: die Tatsache, dass sie durchweg als eher hindernisarm gelten.

Und dann gibt es Länder, in denen die Gefahr einfach überall lauert. Ein solches Land ist Vietnam. Ein Glück also, dass ich (zumindest auf dem Papier) kein totaler Fahrradneuling war, als ich mich nach über zehn Jahren Abstinenz in einem Vorort von Can Tho auf den Drahtesel – von einem Fahrrad kann in diesem Fall schwerlich die Rede sein – schwang und in die Pedalen zu treten begann.

Ganze zwei Meter legte ich bei meinem ersten Radfahr-Versuch in Vietnam zurück. Und ich war stolz wie Bolle. Denn anders als die meisten, war ich schon seit Jahren mit der erschreckenden Wahrheit vertraut: Radfahren kann man eben doch verlernen! Und wenn man es verlernt hat, ist Vietnam definitiv NICHT der richtige Ort, um das eigene Können wieder aufzufrischen.

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Dabei hatte ich eigentlich noch Glück im Unglück. Denn zu meiner unbändigen Erleichterung hatte ich mir weder Saigon, noch Hanoi für meine ersten Fahrstunden ausgesucht, sondern einen autofreien Gehweg mitten im Mekong Delta. Und doch fragte ich mich schon nach wenigen Minuten: Warum tue ich mir das überhaupt an? Ach ja, stimmt: weil wir die grandiose Idee hatten, für zwei Nächte in einer Hütte irgendwo im Nirgendwo abzusteigen und nun doch irgendetwas von der Gegend sehen wollten.

Aber zu diesem Zeitpunkt suchte ich den Fehler lieber bei den anderen. So zum Beispiel bei dem Landschaftsarchitekten, der die grandiose Idee gehabt hatte, dem Gehweg niemals, aber wirklich niemals mehr als zwei Meter Breite zu gönnen und diesen durchweg drei Meter höher anzusiedeln als den Rest der Gegend. Der Aussicht wegen sozusagen. Oder um die vermeintliche Selbstmordrate in die Höhe zu treiben. Man wird es wohl nie wissen.

Hinzu kam die Tatsache, dass ´autofrei´ in Vietnam nicht zwangsweise auch ´motorradfrei´ heißt. Also eigentlich so gut wie nie. NIEMALS! Und so fuhr ich los, mit dem Herz in der Hose und den Füßen in ständiger Bodennähe. Aus reinen Sicherheitsgründen, versteht sich.

Und ich schlug mich tapfer. Ja, meine ersten Erfahrungen beim Radfahren in Vietnam waren sogar so glänzend, dass mich der Ehrgeiz packte und ich mich einige Tage später in Hué ein weiteres Mal freiwillig für eine Fahrradtour à la Vietnam meldete.

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Radfahren in Vietnam ist nicht gleich Radfahren in Vietnam

Als uns der Hotel Butler allerdings mit stolz geschwellter Brust die neuen Fahrräder übergab, fiel meine Kinnlade nussknackergleich zu Boden, während meine Augen ungläubig auf das 5-Sterne-Gefährt starrten. Denn als Fahrräder konnte ich diese Luxusbikes nicht mehr identifizieren. Mein Lernrad hatte weder Gangschaltung, noch wirklich zuverlässige Bremsen besessen. Jetzt aber setzte man mir ein Mountain Bike inklusive aller nur erdenklichen Extras vor. Das hatte mit Radfahren in Vietnam nichts mehr zu tun!

Doch auch dieser Schock war irgendwann überwunden. Und auch die hupenden Autofahrer in der Innenstadt meisterte ich trotz kaputtem Winker – Hand ausstrecken war zu diesem Zeitpunkt noch immer etwas schwierig – mit Bravour. Ebenso die zwischenzeitlichen Asthmaattacken. Das kilometerweite Schieben. Die brutkastenähnliche Hitze. Die Einbahnstraße, die wir auch nach mehreren Hinweisen nicht als solche erkannten. Und die herzhaften Lacher der Anwohner.

Ihnen allen trotzte ich mit einer Anmut, die wohl bis heute ihresgleichen sucht. Und so lieferte ich das Bike nach etwa 25 Kilometern und qualvollen fünf Stunden wohlbehütet bei seinem rechtmäßigen Besitzer ab. Und bin seither mit der empirischen Beweisführung meiner neuesten These beschäftigt: Was man einmal verlernt hatte, kann man mit Sicherheit auch ein zweites Mal verlernen.

Du willst jetzt auch Radfahren in Vietnam? Dann schau dir zuerst noch unseren Beitrag zum Thema Vietnam-Reisezeit an.