Eine amerikanische Kurzgeschichte

Sie war Mitte 50. Lediglich die verräterischen Lachfalten, die ihr Gesicht durchzogen, ließen ihr Alter erahnen. Sie trug Crop Top zu pinken Leoleggings und Punkfrisur. Alles an ihr schrie Amerika. Und wie alle Amerikaner, hatte sie eine Geschichte zu erzählen.

Sie war noch ein Teenager und arbeitete im Gastronomiebetrieb der Eltern, als sie ihren Mann kennenlernte. Eigentlich war sie ja Italienerin, geboren und aufgewachsen in Luxemburg. Er war bei der Army. Genauer gesagt, war er Milchkontrolleur für die in Deutschland stationierten Soldaten. Zweimal pro Woche musste er Qualität und Temperatur überprüfen. Und wie seine zukünftige Frau, kam auch die Milch aus Luxemburg.

Als er in die USA versetzt wurde, folgte sie ihm. Ohne Zögern. Bis in den tiefen Nordwesten. Sie bekam einen Sohn und wurde Hausfrau. Die meiste Zeit, musste sie sich allein um Kind und Haushalt kümmern. Der Mann war unterwegs. Auf Mission, sagte er.

Als der Sohn älter wurde, hatte sie sich längst an den American Way of Life gewöhnt. Sie mochte das Leben in Coeur d´Alène. Hier konnte sie die Frau sein, die sie sich in Luxemburg nie zu sein getraut hatte. Niemand fragte, wo Sie herkam oder warum ihr Sohn eine andere Hautfarbe hatte. Niemand scherte sich darum, ob sie sich nun wie siebzehn oder siebzig kleidete. Auch geschäftlich hatte sie sich etwas aufgebaut.

Sie war glücklich.

Heute war der Mann weg und der Sohn versuchte sich in New York als Barkeeper. Nur sie war zurückgeblieben. Ganz allein. Am anderen Ende der Welt. Ob sie überlege, nach Luxemburg zurückzukehren? Nach Luxemburg? Warum denn das? Sie war doch aber Amerikanerin.